Eine Geschichte über den Verlust und den Spuren.

Liebe Leserinnen und Leser.

In der Stille eines bescheidenen Raumes, wo das Ticken der Uhr fast wie ein fernes Echo  der Vergänglichkeit klingt, beginnt eine Geschichte, die das Herz berührt und die Seele wärmt.  Es ist eine Erzählung, die ich als Sterbebegleiterin erlebt habe, und sie lehrt uns, dass selbst in  den dunkelsten Stunden das Licht der Hoffnung und der Menschlichkeit leuchten kann.

Es war an einem trüben Nachmittag, als ich ihn zum ersten Mal traf. Ein Mann in seinen Fünfzigern,  dessen Leben durch die erschütternde Diagnose Leberkrebs Stadium 4 in seinen Grundfesten  erschüttert wurde. Seine Augen spiegelten Wut und Zorn wider, Gefühle, die wie wilde Wellen  gegen die Felsen seiner Realität prallten. Er verstand nicht, warum seine Frau eine Begleitung  für ihn gesucht hatte, was sollte das schon ändern?

Ich saß da, ruhig und geduldig, und ließ ihn seine Stürme entladen. Meine Gabe, so sagt man,  ist es, dass Menschen sich in meiner Gegenwart öffnen können. Und so wartete ich, bis seine  Worte wie ein abebbender Sturm nachließen. Dann bot ich ihm eine Wahl an: „Sie haben nichts  mehr zu verlieren, aber vielleicht gibt es auf dieser letzten Reise noch etwas zu gewinnen. Wollen  Sie das Risiko eingehen?“

Meine Direktheit weckte seine Neugier. Vielleicht wollte er mir beweisen, dass es für  ihn nichts mehr zu gewinnen gab, aber mit jedem meiner Besuche, die er zunehmend  erwartungsvoll entgegensah, begann sich etwas in ihm zu verändern. Er schätzte meine  unverblümte Einstellung und langsam lernte ich auch seine Familie kennen. Durch sie erfuhr  ich von den Lasten seiner Vergangenheit und der nie vollzogenen Aussöhnung mit seinem Vater.

Mit Feingefühl webte ich dieses Wissen in unsere Gespräche ein. Es dauerte, aber  schließlich erkannte er, was in seinem Leben schiefgelaufen war. Er begann zu verstehen,  dass das Wühlen in alten Wunden nicht immer heilt und dass man letztlich nur seine  eigenen Gedanken kontrollieren kann. Diese Erkenntnis nutzte er für sich. „Jetzt, wo der  Tod an meiner Tür klopft und mir Zeit schenkt, weil ich nichts mehr erreichen muss, kann  ich auch diesen scheinbaren Irrsinn versuchen und meine Gedanken kontrollieren“, sagte er.

Er schrieb seine Gedanken nieder, sie wurden leichter, und er selbst wurde freundlicher, sehr zur Freude seiner Familie. Ich wurde ein gern gesehener Gast in ihrem Haus.  Das Schönste war jedoch, dass er sich mit seinem Sohn aussöhnte. Seine größte  Traurigkeit war es, dies nicht mit seinem Vater tun zu können, da dieser bereits verstorben war.

Die letzte Reise wurde zu seiner besten Reise, wie er am Ende sagte. Ich begleitete  die Familie knapp zwei Jahre lang,  Jahre voller Emotionen und der Auseinandersetzung mit dem Abschied.  Sie alle lernten, dass jeder Mensch selbst entscheidet, was er denkt, und dass  Konditionierungen uns nur hindern, wenn wir glauben, Gedanken seien unkontrollierbar.

Als seine Zeit kam, hinterließ er Spuren der Liebe und Versöhnung, ein Vermächtnis, das zeigte, wie wertvoll sein Leben war. Er sagte,  der Krebs habe ihm doch noch einen Sinn gegeben: Aus dem unausweichlichen,  unfassbaren Schmerz etwas Schönes wachsen zu lassen.

Diese Geschichte ist mehr als eine Erinnerung. Sie ist eine Lektion in Menschlichkeit  und die Kraft der Veränderung. Sie zeigt uns, dass selbst am Ende eines Lebensweges  noch Wachstum und Heilung möglich sind. Dieser Mann öffnete sein Herz für die letzte und  vielleicht wichtigste Lektion seines Lebens. Liebe und Versöhnung sind die wahren  Siege, die wir erringen können, selbst wenn wir uns dem Ende nähern.

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